Die Bärte stehen wieder in voller Pracht

Freie Presse, erschienen am 20.02.2015 ( Von Anna Neef )

160 Christen aus Zschorlau und Umgebung proben seit Monaten für das Allianzprojekt. Es umfasst acht Aufführungen rund um Ostern, die vom letzten Abschnitt im Leben Jesu Christi bis zu dessen Kreuzigung erzählen. Jung und Alt setzen die biblische Geschichte in Szene.

Zschorlau. Seit Februar 2014 war Mario Scheller nicht mehr beim Friseur. Das fällt im Umfeld des 32-Jährigen auf. Seine Haare sind viel länger als sonst. Er trägt einen Bart. Und muss viel Text pauken. Der Zschorlauer, der in Dresden lebt und arbeitet, ist Jesus. Zumindest wenn er in Kürze in seinem Heimatort im Zuge der Osterwoche auf der Bühne steht.

Dreifach ist die Hauptrolle im Passionsspiel besetzt. Das hat guten Grund: Vier Stunden dauert eine Vorführung, von denen es zwischen 3. und 12. April acht an der Zahl geben wird. „Das schafft einer allein nicht“, sagt Matthias Groß. In Sachen „Jesusrolle“ ist er ein „alter Hase“. Seit der ersten Aufführung des Passionsspiels mimt er den Gottessohn, wächst mit 54 Jahren aber aus der Rolle heraus. Also suchte Dieter Schürer, künstlerischer Kopf des Großwerks, nach einem Nachfolger – und fand ihn in Mario Scheller, der mit Gerald Baumann das Jesus-Trio komplettiert.

2010 wurde der „Neue“ gefragt, spielte bis dahin einen Römer. „Ich dachte darüber nach und sagte Ende 2013 zu“, so Scheller. Bei der ersten Durchlaufprobe sitzt noch nicht jede Textzeile. Immer wieder schaut der 32-Jährige auf seinen Zettel oder bekommt von anderen Mitspielern – Menschen aus dem Volk, seinen Jüngern oder den drei Souffleusen – einen Hinweis, wie der nächste Satz beginnt. „Es ist schon viel Text“, gesteht Mario Scheller. Dennoch ist er sicher, dass er sich bis zur Aufführungswoche rund ums Osterfest alles sattelfest eingeprägt hat. „Es ist eine große Herausforderung. Aber so langsam finde ich in die Rolle hinein. Das Tragen des Kostüms und die kompletten Proben helfen dabei.“ Allein wegen seiner äußerlichen Veränderung werde er oft angesprochen. „In meinem Bekanntenkreis fällt es auf, dass ich Bart trage und nicht mehr zum Friseur gehe.“ Der Außendienstmitarbeiter eines Energie-Unternehmens nimmt das mit Humor. „Wenn ich erkläre, worum es geht, ernte ich durchweg positive Reaktionen.“ Auch das bestärke ihn in seiner Entscheidung, die Hauptrolle zu spielen. Vor allem die Männer, die im Passionsspiel auftreten, werben seit Monaten unwillkürlich für das Ereignis. Spätestens seit Sommer 2014 wachsen in Zschorlau sowie seinen Ortsteilen Albernau und Burkhardtsgrün auffällig viele Bärte.

Seit 2005 wirkt Michael Dehnel am Passionsspiel mit. Erst im Volk, dann als Jünger, 2010 als Priester, nun als Hohepriester Kaiphas. Der 36-Jährige lebt das Projekt, sagt er. „Wie alle anderen auch.“ Die Besonderheit bestünde darin, sich in die biblische Geschichte über den letzten Lebensabschnitt Jesu hineinzuversetzen. „Und sich vorzustellen, dass man den Ausgang des Geschehens nicht kennt. Das ist wichtig. Erst dadurch wirkt das Spiel authentisch. Wir wissen ja, wie es ausgegangen ist. Die Leute damals wussten es nicht“, so der Heilerziehungspfleger, der sonst einen Drei-, maximal einen Vier-Tage-Bart trägt. „Jetzt wächst er seit mehr als acht Monaten“, sagt Dehnel und fährt sich mit der Hand durch seinen gelockten Vollbart. Auch sein Haupthaar steht in voller Pracht. „Ich werde oft darauf angesprochen. Das eröffnet tolle Gespräche“, berichtet er. „Denn ich kann den Leuten dann den Sinn des Spiels erklären und Gottes Botschaft weitertragen“, so der Erzgebirger, der sich auf den Spielmarathon sehr freut. „Es ist Stress und anstrengend. Aber es macht echt viel Spaß, weil alle dahinter stehen und die Geschichte mit Leidenschaft authentisch erzählen wollen“, sagt Dehnel, für den das Ganze von Beginn an eine Herzensangelegenheit war.

Das gilt auch für Dieter Schürer. Er kommt kaum zur Ruhe. Er steht auf einem Tisch, damit er im Saal alles überblicken kann. Die Durchlaufproben samstags dauern nicht selten bis zu fünf, sechs Stunden. Immer wieder hakt Schürer ein, gibt Hinweise, wer wie und wo stehen und was sagen muss. Den Humor verliert keiner. Es wird auch viel gelacht. Zum Beispiel als Frank Albusberger in die Knie geht und sich ausversehen ans falsche Ohr fasst, um dann loszuschreien – und mit seiner lockeren Art alle zum Lachen bringt. Der 36-Jährige spielt den Anführer jener Männer, die Jesus nach dem Verrat durch Judas im Garten festnehmen. Im Eifer des Gefechts wird sein Ohr verletzt, das Jesus heilt. „Der christliche Glaube ist für mich Motivation, hier mitzuspielen“, sagt er dann ernst. Schon seit der Premiere im Jahr 2000 ist er dabei. „Alle, die mitmachen, bilden eine große Glaubensgemeinschaft – von Jung bis Alt. Die Botschaft der Passionsgeschichte verbindet uns. Die beleben wir – und zeigen, dass Religion und Glauben im Leben immer helfen können. Damals wie heute.“

Schon 21.500 Besucher

75 Seiten stark ist der Hefter, in dem das Zschorlauer Passionsspiel steht. Der Text von Rechtsanwalt Dieter Schürer stammt von 1997/1998, basiert auf den vier Evangelien des Neuen Testaments und auf dem Roman „Jesus von Nazareth“ des Schriftstellers Roman Brandtstätter. Der ersten Spielzeit im Jahr 2000 folgten weitere 2001, 2005 und 2010. Die Besonderheit 2015: Es gab eine Überarbeitung. „Einige Szenen und Texte wurden umgestellt. Zudem passten wir die Sprache an, um es verständlicher zu machen oder Charaktere besser herauszuholen.“ Ganz neu sind die erste und zweite Szene.

Die Proben begannen im September 2014. Am 27. März wird in der Turnhalle Zschorlau die 150 Quadratmeter große Bühne mit drei Ebenen aufgestellt. Schürer ist zuversichtlich. „Es passt. Selbst unsere neuen Mitspieler fügen sich bisher super ein.“

Vor und hinter der Bühne sowie rund um das Spiel sind rund 160 Mitwirkende im Einsatz. Sie kommen aus verschiedenen Gemeinden, das Allianzprojekt verbindet sie auf einzigartige Weise. Alle Darsteller sind Laien. Deshalb, so Schürer, spielt jeder ein Stück von sich selbst. „Es ist nicht die Perfektion, sondern die aus dem persönlichen Glauben kommende innere Einstellung jedes Einzelnen, von der das Spiel getragen wird und von der die Zuschauer hoffentlich auch immer wieder etwas spüren.“

Das Passionsspiel-Orchester unter Leitung von Heiko Brosig steuert eine extra für das Stück komponierte Musik von Gisbert Näther aus Potsdam bei. Die Aufführungen mit je 18 Szenen dauern je vier Stunden, dazwischen gibt es eine 45-minütige Pause. In den bisher vier Spielzeiten fanden 30 Vorstellungen statt, die zirka 21.500 Besucher miterlebt haben.

Die Aufführungen finden wie folgt statt: am 3./4./5./6. April (Ostern) – Beginn 13 Uhr; am 8./9. April – Beginn 18 Uhr (ab 17 Uhr: Einführung und Informationen zum Spiel); 11./12. April – Beginn 13 Uhr. Tickets gibt es im Pfarramt von Zschorlau. (ane)

„Für mich ist das Mitwirken längst Herzensangelegenheit“

Margarete Colditz ist seit Anfang an dabei. Als Souffleuse hilft die 76-Jährige Darstellern dann, wenn sie Texthänger haben. Mit ihr sprach Anna Neef.

Freie Presse: Seit wann sind Sie beim Zschorlauer Passionsspiel dabei?

Margarete Colditz: Von der allerersten Aufführung an wirke ich mit. Ich gehöre zum Kreis derjenigen, die das Projekt in die Hand genommen und bis heute voran getrieben haben.

Freie Presse: Was ist 2015 anders?

Wir sind inzwischen drei Souffleusen. Das ist auch dringend nötig. Denn früher musste ich immer viel hin- und herspringen. Das war sehr anstrengend. Immerhin hat die Bühne drei Ebenen, auf denen gespielt wird. Da teilen wir uns jetzt als Trio rein. Das erleichtert es wirklich sehr. Nach acht Aufführungen binnen einer reichlichen Woche ist man ganz schön geschlaucht, das können Sie mir glauben!

Freie Presse: Sie schauen den Mitwirkenden sozusagen genau auf die Lippen?

Ja, und das um die vier Stunden pro Aufführungen. Ich kenne aber meine Leute und weiß, wer an welcher Stelle Schwächen hat. Dann reicht oft ein Stichwort – und die Darsteller sind wieder im Text drin. Ich glaube, es macht sie sicherer, dass sie wissen, jemanden im Rücken zu haben, der helfen kann. Für mich ist das Mitwirken längst Herzensangelegenheit.

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